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Oliver Stegemann: „Es ist großartig, bei World Games dabei zu sein!“

Oliver Stegemann zu Herausforderungen nicht-olympischer Athlet*innen und Verbände. Ein Interview mit & von Ulrike Spitz.

Die World Games für die nicht-olympischen Sportarten, auch „Olympische Spiele für nicht-olympische Sportarten“ genannt, finden in diesem Jahr vom 7. bis 17. Juli in Birmingham/ Alabama statt. Wie so vieles in diesen Zeiten war das anders geplant, nämlich für den Juli 2021 – traditionell finden die World Games ein Jahr nach den Olympischen und Paralympischen Spielen statt. Durch die Verlegung der Tokio-Spiele um ein Jahr war aufgrund der Terminlage die Durchführung im Jahr 2021 nicht möglich. Über die Bedeutung der World Games und die Herausforderungen an die nicht-olympischen Athlet*innen und Verbände sprach die DOSB-Presse mit dem DOSB-Vizepräsidenten Oliver Stegemann, gleichzeitig Präsident des Deutschen Sportakrobatik-Bundes.

DOSB-PRESSE: Welche Bedeutung haben die World Games für die Athlet*innen der nicht-olympischen Sportarten und deren Verbände?

OLIVER STEGEMANN: Für die nicht-olympischen Verbände ist das der Zielwettkampf, da wollen wir alle hin. Zwar werden in vielen Sportarten die Welt- und Europameisterschaften auf einem ähnlichen Niveau ausgerichtet wie die World Games, aber das ist ja nicht in allen Sportarten so. Vor allem aber kommt man natürlich bei so einem Multisportevent mit anderen Sportler*innen über die Grenzen der Sportarten hinaus zusammen. Das ist einzigartig und in diesem Sinne vergleichbar mit Olympischen Spielen. Wir nennen die World Games ja auch die Olympischen Spiele für nicht-olympische Sportarten. 

DOSB-PRESSE: Einige nicht-olympische Sportarten sind ja durchaus schon ins olympische Programm aufgenommen worden. Ist das ein Hauptanliegen der World Games? 

OLIVER STEGEMANN: Es ist und bleibt natürlich ein Traum für alle, beim größten Sportfest der Welt dabei zu sein. Aber es ist auch großartig, bei den World Games dabei zu sein. Denn die World Games haben vor allem in der Leistung und auch in der Organisation deutlich aufgeschlossen zu den Olympischen Spielen. Es sind andere Sportarten, es sind andere Disziplinen als bei den Olympischen Spielen, aber die Veranstaltung läuft auf einem vergleichbar professionellen Niveau. Und es ist ganz schön schwer, sich zu qualifizieren, weil die Teilnehmerzahl deutlich geringer ist. In vielen Sportarten muss man zur absoluten Weltspitze gehören, um dabei zu sein: Bei den Turnsportarten muss man beispielsweise bei der Weltmeisterschaft unter die besten fünf kommen, um sicher qualifiziert zu sein – es starten jeweils sechs, und dann gibt`s vielleicht noch eine Wild Card für den Ausrichter. 

DOSB-PRESSE: Hat sich das geändert im Vergleich zu früher? War es früher einfacher?

OLIVER STEGEMANN: Ich habe den Eindruck, dass die World Games von vielen Nationen mittlerweile ernster genommen werden als früher. Ich nehme das Beispiel Sportakrobatik: Wir sind früher durchaus mal reingerutscht mit Formationen, obwohl wir uns nicht qualifiziert hatten. Gerade die 

Ukrainer oder die Polen haben das in der Vergangenheit nicht immer ernst genommen, die haben das Geld nicht für eine Teilnahme an den World Games ausgegeben, und das sind alles große Nationen bei uns. Das hat sich definitiv verändert in den vergangenen zehn Jahren. Jetzt ordnen diese Nationen die World Games ebenso als ihren Zielwettkampf ein, also als die Olympischen Spiele für die nicht-olympischen Sportarten. Dadurch ist ein eventuelles Nachrutschen sehr viel schwieriger geworden. 

DOSB-PRESSE: Haben sich auch die Leistungsdichte und die Leistungen generell verändert? 

OLIVER STEGEMANN: Die Qualität der World Games ist in der Tat insgesamt gestiegen, weil die Sportarten sich professionalisiert haben. Die Leistungen sind deutlich besser geworden. Das hängt auch damit zusammen, dass die World Games inzwischen überall oder in weiten Teilen als das anerkannt werden, was sie sind, nämlich der große Vergleichswettkampf alle vier Jahre.

DOSB-PRESSE: Welchen Stellenwert haben die World Games in der Öffentlichkeit?

OLIVER STEGEMANN: Das ist sehr heterogen. Wir haben natürlich Sportarten, die direkt von uns Richtung Olympische Spiele durchgestartet sind, weil sie so attraktiv sind, zum Beispiel Speedklettern. Das war in Breslau so ein Knaller, dass das zweimal ins olympische Programm marschiert ist, sogar noch ausgebaut wird und wahrscheinlich irgendwann auch langfristig dabeibleiben wird. Diese Sportarten werden in der Öffentlichkeit natürlich stark wahrgenommen. Aber es gibt eben auch ganz andere Sportarten, die bei den World Games zum ersten und einzigen Mal professionelle Bilder produziert bekommen. 

DOSB-PRESSE: Wie könnte sich die Situation verbessern?

OLIVER STEGEMANN: Das Wichtigste ist nach wie vor, dass man im Fernsehen gut rüberkommt. Alle reden zwar von Social Media; YouTube hatte früher die Slogan „broadcast yourself“, und das funktioniert alles ja auch ein Stück weit. Aber die wichtigste Plattform ist eben immer noch das traditionelle Fernsehen, auch für die Sponsoren. Und da reinzukommen, ist für uns halt sehr schwer. Nach Fußball kommt erst mal Fußball, danach haben einige andere aufgeschlossen, der Rest hat alle vier Jahre Olympische Spiele, und dann kommen wir. 

DOSB-PRESSE: Wäre denn genügend Interesse da, wenn mehr gezeigt würde?

OLIVER STEGEMANN: Wenn ich mal wieder unsere Sportart als Beispiel nehmen darf: Wir sind alle vier Jahre beim Deutschen Turnfest mit dabei, in Hallen mit relativ großer Zuschauerkapazität. Die Tribüne ist immer voll. Wir hatten sogar schon auf 1800 Plätze erweitert, und es war voll. Natürlich ist das auch „unser“ Publikum, ein turn-affines Publikum, das solche Sportarten gerne schaut. Ich glaube, dass da große Chancen liegen würden, aber dauerhaft finden wir keinen Weg zu diesen Leuten. Das A und O, gerade in unserer Sportart, sind natürlich gute Bilder. Aber für die Produktion von guten Bildern sind die Anfangskosten so hoch für uns, dass wir uns das einfach nicht leisten können.

DOSB-PRESSE: Und andere Kanäle wie z.B. Sportdeutschland.tv? 

OLIVER STEGEMANN: Sportdeutschland.tv ist für uns insofern super, dass wir die Möglichkeit haben, bei jeder normalen Meisterschaft ein oder zwei Kameras aufzustellen, die einfach das Geschehen übertragen. Das hilft schon mal weiter, aber es sind natürlich nicht die Bilder, die wir für ein größeres Publikum bräuchten. Das ist eine Dimension, die die olympischen Sportarten während der Spiele wenigstens einmal haben und die uns fehlt. Es müsste ja nicht zwingend live sein. Ein bisschen Hoffnung haben wir ja, dass es bei den World Games dann doch mal so etwas ähnliches gibt, also wenigstens ansatzweise eine Verbreitung übers Fernsehen in Deutschland, zum Beispiel am Abend eine zehn- oder 15-minütige Zusammenfassung während dieser zehn Tage. Ich bin sicher, dass es dafür Interesse gibt. 

DOSB-PRESSE: Die World Games wurden ja auch analog zu den Olympischen und Paralympischen Spielen wegen der Pandemie um ein Jahr verschoben. Wie schwierig war das?

OLIVER STEGEMANN: Ziemlich schwierig. In unserer Sportart hatten wir zum Beispiel ein Spitzenteam, Goldmedaillengewinner der letzten World Games, die den Zenit eigentlich schon überschritten hatten. Sie wollten für uns aber im Frühsommer 2020 nochmal zur Qualifikation antreten, um Quotenplätze für ein gutes Nachfolge-Paar zu holen. Und dann ist der schöne Plan kaputt. Konkret blieben von acht Formationen, die zur Qualifikation antreten wollten, noch zwei – alle anderen haben aufgehört. Für die jungen Leute war es eine schwierige Zeit. Es wurde schon viel darauf geschaut, was in der Zeit des Lockdown alles verloren gegangen ist. Aber alle haben sich wieder aufgerappelt, und was sie dann geleistet haben, war großartig. Wir sind bei den World Games jetzt wirklich gut vertreten. Und ich denke, so in etwa war der Verlauf für alle Sportarten. 

DOSB-PRESSE: Viel Geld ist sicher nicht zu verdienen für die World-Games-Teilnehmer*innen.

OLIVER STEGEMANN: Das ist auch gar nicht das Anliegen. Wir wären froh, wenn der Eigenanteil, den die Athlet*innen aufbringen müssen, sich im Rahmen hält. Es ist nicht einfach für die nicht-olympischen Sportarten. Die Sportler*innen zahlen zum Beispiel in unserer Sportart, je nachdem, wo der Wettkampf stattfindet, ja schon 500 bis 800 Euro, um sich nur qualifizieren zu können. Der Verband ist nicht in der Lage, das komplett zu übernehmen. Und bei den World Games müssen wir für die wenigen, die wir mitnehmen dürfen, auch 350 Euro pro Person bezahlen. Mein großer Wunsch wäre, dass wir mal dahin kommen, dass beim Zielwettkampf der Hauptteil übernommen werden kann für all die, die die ganze Zeit schon Eigenleistungen erbringen müssen.

Die Fragen stellte Ulrike Spitz

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